SELIG
„Alle haben sich wieder lieb“
Unter all den kuriosen Wiedervereinigungen des Frühlings – Limp Bizkit, Guano
Apes, Boris & Lilly – ist die Rückkehr von Selig die mit Abstand angenehmste. Elf Jahre nach ihrer abrupten Trennung haben sich die Hippie-Grunger („Sie hat geschrieen“, „Ist es wichtig“, „Ohne dich“) endlich wieder lieb. Parallel zur Tour veröffentlichen die fünf mit „Und endlich unendlich“ ein bewährt bluesrockiges Selig-Album, das kaum anders klingt als die Platten vor 15 Jahren. Wir sprachen mit Sänger Jan Plewka (38) und Gitarrist Christian Neander (40) in dessen Studio in Berlin-Kreuberg.
Jungs, wieso gibt es euch jetzt wieder?
Jan Plewka: Die Idee ist über Jahre gereift, zumindest in meinem Kopf. Wir haben uns die Selig-Pause genommen, die wir brauchten. Es gab damals viel Groll zwischen uns. Wir waren fünf Freunde, bei denen sehr viel Liebe in einen unterträglichen Zustand umgeschlagen ist.
Jan, du hast in den elf Jahren verschiedene Bands gegründet und Rio-Reiser-Lieder gesungen. Christian, du hast das Studio aufgebaut und andere Musiker wie Pohlmann
produziert. Kommt das alles nicht an Selig ran?
Jan: Die Sachen haben uns alle weitergebracht und weitgehend zufrieden gemacht. Aber die herrlichsten Gefühle, die Erlöserphantasien, die empfinden wir bei Selig.
Habt ihr Selig in den elf Jahren jemals vergessen?
Jan: Nein, das war nicht möglich. Egal, wo man war, egal, was man sonst noch so gemacht hat, man wurde immer wieder auf Selig angesprochen. Selig, Selig, Selig. Irgendwann
war es an der Zeit, dass sich die fünf Herren inkognito in einem Restaurant bei Hamburg getroffen.
Und wie lief es?
Christian Neander: Die Stimmung war schon komisch, auch ein bisschen misstrauisch. Dann haben wir gerdet, geredet und geredet. Später auch telefoniert, ein dreiviertel Jahr lang, dann haben Jan und ich Musik für den Film “Liebeslied” gemacht, was super klappte, und so kam langsam wieder das Fundament zustande. Als wir schließlich im Studio standen, war alles wie immer. Vielleicht hätten wir gleich zusammen Musik machen sollen, dann wäre es schneller gegangen.
Warum war damals eigentlich Schluss?
Jan: Weil es nicht mehr ging. Weder geistig noch körperlich. Man kann das echt mit einer Liebesbeziehung vergleichen, einer brutalen, exzessiven, wilden Liebe, in der man sich am Ende selbst zerfleischt. Du darfst nicht vergessen, dass wir damals echt jung waren. Und dann kam innerhalb von ein, zwei Jahren soviel auf uns zugestürzt, dass wir fast an Reizüberflutung gestorben wären. Es herrschte der totale Größenwahn.
Es hieß; Drogen wären schuld gewesen am Ende der Band.
Jan: Drogen hatten mit dem Ende von Selig damals nichts zu tun. Aber vor allem die ersten zwei, drei Jahre Selig kamen mir vor wie ein nie endender Rausch. Vielleicht ging alles ein bisschen zu schnell damals.
Wenn Ex-Paare wieder zusammenkommen, geht das selten gut.
Jan: Wir hatten zehn Jahre Zeit, um über uns und alles nachzudenken, was schiefgelaufen ist.
Gibt es Beispiele für lange getrennte Bands, die erfolgreich wieder zusammengekommen sind?
Jan: Die Ärzte fallen mir da ein. Blur gerade auch.
Bestand die Feindseligkeit besonders zwischen euch beiden Kreativköpfen?
Christian: Nein, die Spannungen waren innerhalb der Band weit verzweigt. Aber dieses Musikmachen hat alle so tief berührt, dass man dann auch schnell die restlichen Sachen geklärt hat. Jetzt ist alles ausgesprochen und wir haben uns alle fünf wieder lieb.
Ihr galtet damals als deutsche Antwort auf Pearl Jam und Nirvana.
Jan: German Grunge, genau. So wurde unser Stil damals genannt, weil Grunge gerade Mode wurde. Wir sind aber viel mehr von den Black Crowes beeinflusst. Die fanden wir richtig geil. Dann kam der Grunge dazwischen. Und wir haben unser Zeug dann immer zärtlich Hippie-Metal genannt.
Während euer damaliges Trennungsalbum „Blender“ sehr poppig war, klingt “Und endlich unendlich” nun wieder ganz klassisch nach Selig.
Jan: Das hört sich komisch an, aber wir können gar nichts für unseren Sound. Als wir uns zum ersten Mal wieder mit Instrumenten gegenüberstanden, haben wir die Verstärker aufgedreht, losgespielt und es war unser Sound und unsere Musik. Wir kommen aus der Tradition
des Rocksongs, der Melodie.
Ihr seid inzwischen Familienväter. Jan, du hast drei Töchter, deine Älteste ist 12. Ändert die Familie was in Sachen Bandzusammenhalt?
Jan: Als meine Freundin Anna schwanger wurde, waren wir beide sehr jung und dachten, das Leben ist vorbei. Ich hatte die Vorstellung, wenn man ein Kind kriegt, muss man ins Reihenhaus ziehen und einen festen Job haben. Ich wollte auch nie Kinder haben. Aber dann war es da, und wenn das Paar sich liebt, dann ist das mit dem Kind das totale Glück. Die Gefahr ist dieser Zwang. Anna und ich, wir haben versucht, spießig zu werden. Aber wir haben auch gemerkt, dass das nicht klappt und dass wir uns dabei immer weiter entfremden
– voneinander und von uns selbst.
Wie sah euer Spießigkeitsversuch aus?
Jan: Wir sind nach Stockholm gezogen, wo ich auf die Schauspielschule ging. Hat aber nicht hingehauen. Ich muss mich auf der Bühne produzieren, sonst bin ich nicht glücklich. Und wenn Anna mich liebt, dann lässt sie das zu. Wir sind jetzt seit 19 Jahren zusammen.
Christian, deine Tochter ist knapp ein Jahr.
Christian: Emma ist total wichtig, aber sie krempelt mein Musikerleben nicht um. Ich verbringe sehr viel Zeit mit ihr, aber ich habe nicht das Bedürfnis, ins Reihenhaus zu ziehen.
Jan: Anna und ich, wir haben neulich Lotto gespielt. Sie ist Übersetzerin und will nie wieder arbeiten, falls sie gewinnt. Bei mir ginge das nicht. Ich würde weitersingen, auch mit 30 Millionen Euro
Text: Steffen Rüth - Foto: Universal Mathias Bothor