INTERVIEWS

WIR SIND HELDEN - DAS IST ALLES EIN EXPERIMENT

Doch, man hat sie vermisst. Zwischen 2003 und 2008 waren Wir Sind Helden praktisch
allgegenwärtig und ausgesprochen beliebt. Speziell ihre ersten beiden Album „Die Reklamation“ (2003) und „Von hier an blind“ (2005) mit Hits wie „Guten Tag“, „Müssen nur wollen“ oder „Aurelie“ verkauften sich jeweils hunderttausendfach und begründeten die neue Deutsch-Pop-Welle, auf der dann auch Bands wie Silbermond oder Juli surften. Nach dem dritten Studiowerk „Soundso“ (2007) war bei Judith Holofernes, Jean-Michel Tourette, Mark Tavassol und Pola Roy ein wenig die Luft raus. Die Pause, in der Judith und Pola erneut Eltern wurden (Töchterchen Mimi ist jetzt ein Jahr alt), war dringend nötig und hat der Band gut getan. Das neue Album „Bring mich nach Hause“ wurde dann nach einen Plattenfirmenwechsel frei von jedem Druck aufgenommen. Vordergründig auf Hit getrimmte Songs sucht man darauf vergeblich, die ruhige Seite der Band steht klar im Mittelpunkt. Wir trafen die Eheleute Judith und Pola im Berlin-Kreuzberger Café „Gris Gris“ zum Gespräch.


Judith, Pola, ihr wirkt gerade sehr entspannt. Wie sieht so ein typischer Helden-Vormittag aus: Kinder in der Kita, dann erst mal eine Schorle im Cafe?

Judith Holofernes: Das Typische an unseren Tagen ist, dass es keine typischen Tage gibt. Wir haben jetzt geraden den Endspurt mit der Platte hingelegt, das war alles andere als entspannend. Da wird man zu jeder Tages- und Nachtzeit vom Mischer angerufen, der sagt “Ihr müsst innerhalb einer halben Stunde diesen Mix abnehmen”, was sehr gut dazu passt, wenn du gerade mit den Kindern auf dem Spielplatz bist. Neulich waren wir auf einem Straßenfest. Einer hat mit den Kindern jongliert, der andere hat auf dem Fest mit Kopfhörern den Mix fertiggemacht.



Aber es klappt schon alles mit der Organisation zwischen Kindern und Band?

Pola Roy: Das ist immer relativ. Alle jungen Eltern werden sagen, dass es irgendwie klappt. Aber es leiden gewisse Aspekte des Lebens. Man kriegt zu wenig Schlaf. Schwierig ist, dass es keine Routinen gibt, das ist ja generell das Problem und auch das Spannende bei diesem Beruf. Mit einer Familie potenziert sich das. Gewisse Sachen gehen einfach nicht mehr so. Das ist alles ein Experiment.

Gab es so was wie Pläne: Heiraten, erstes Kind, Album, Tour, Jahr Pause, zweites Kind?

Judith: Nein, der Plan war: “Wenn man das alles im Leben machen möchte, dann am besten jetzt”.. Wir passen das System immer wieder an. Aus der letzten Runde haben wir gelernt, dass dieses Leben tatsächlich mit Kindern geht. Aber dass der Energieaufwand, dieses Leben zum Laufen zu bringen, wahnsinnig hoch ist.

Friedrich ist jetzt dreieinhalb, Mimi ein Jahr alt. Wie funktioniert das mit dem Touren?

Pola: Das überlegen wir gerade selber noch. Man muss das auch immer wieder sehr kurzfristig angleichen und ausprobieren. Wir hatten ja als Band auch eine Pause und starten das ganze Ding nun wieder. Auch in der Band haben wir viele Sachen verändert.

Welche denn?

Pola: Wir haben auf dieser Platte mit einem neuen Produzenten gearbeitet, dem Briten Ian Davenport, auch haben wir uns einen Gastmusiker dazugenommen. Das Ziel war: Als Band ins Studio zu kommen und die Platte in zwei Tagen aufnehmen zu können. Theoretisch. Wir hatten vorher viel im Probenraum arrangiert und insgesamt sehr viel vorbereitet. Wir wollten mehr eine Band-Platte machen. Live wollen wir das weiterführen, werden sogar mit zwei Gastmusikern spielen. Die ganze Platte steht unter dem Stern: Veränderung.

Ihr spielt auf den neuen Songs wahnsinnig viele verschiedene Instrumente. Alles klingt so schön handgespielt.

Judith: Ja. Das war auch das, was uns dieses Mal am meisten begeistert hat. Wir haben uns immer schon auf die Suche nach bestimmten Sounds begeben, aber früher meistens am Synthesitzer. Dieses Mal hatten wir eine arabische Lautet, die Mark wirklich schön spielt, oder so Sachen wie Banjo, Ukulele und Akkordeon.

Pola: Judith hat sich in einem Ukulelenladen drei Ukulelen gekauft. Wir haben gedacht, wir stellen die Sachen alle in den Raum und gucken, was passiert. Häufig sind die Instrumente, die man nicht richtig beherrscht, die inspirierendsten.

Es soll also für euch selbst spannend bleiben.

Pola: Das war genau der Punkt. Wir haben ja ein halbes Jahr gar nichts gemacht, eine wirkliche Pause. Dann kamen wir wieder zusammen und haben uns gegenseitig unsere neuen Ideen vorgespielt. Es war ein ganz starkes Bedürfnis da, was Anderes zu machen,. Dann haben wir überlegt, worauf jeder Bock hat, und es hat sich herauskristallisiert, dass das Musikmachen stärker im Vordergrund stehen soll.

Habt ihr die Pause gebraucht?

Udith: Definitiv. Wir waren körperlich und nervlich ziemlich runter, zumindest die Junge-Eltern-Fraktion. Seit 2000 haben wir so dicht unsere Platten gemacht, immer schon auf Tour wieder neue Lieder geschrieben und immer schon wieder ans nächste Projekt gedacht. So schön das alles ist, aber man kreigt irgendwann solche Hamsterradgefühle.

Auf dem neuen Album sind auffällig viele ruhige, eher nachdenkliche Songs.

Judith: Da sind nicht so viele Knaller drauf, das stimmt.

Pola: Für mich knüpft “Bring mich nach Hause” trotzdem an den Anfang der Band an. Der Kern
dieser Band war immer bei den eher balladigen Stücken wie “Du erkennst mich nicht wieder” oder “Die Zeit heilt alle Wunder”.

Judith: Im Nachhinein waren wir immer ein wenig traurig, dass sich unsere ruhige Seite in den
Singles nie so gezeigt hat. Im deutschen Radio gehen solche Songs scheinbar nicht. Jetzt ist es eigentlich schön, dass man gar keine andere Wahl hat als Balladen zu Singles zu machen. Zuerst gab es 15 Songs. Die wenigen lustigeren und knalligeren Lieder haben wir runtergenommen. Und beschlossen, dass dies hier jetzt die eher melancholische Platte ist.

Seid ihr selbstbewusster als je zuvor?

Pola: Wir sind vielleicht kompromissloser geworden. Uns geht es um die Kunst, wir wollten genau die Platte machen, die uns vorschwebt und uns auch die Zeit dafür nehmen. Für mich ist das total aufgegangen.

Judith: Es gibt natürlich auch eine große Freiheit, wenn man ein Leben führt, bei dem man weiß, dass Erfolg noch zweischneidiger ist als für andere Leute.

Das habe ich jetzt nicht verstanden.

Judith: Mit Kindern ist es noch mehr so, dass man weiß, dass ein hohes Maß an Erfolg sehr schwer mit den Kindern zu vereinbaren ist. Was wir möchten, ist ein entspannter Erfolg. Mehr ist für unser Leben nicht automatisch besser.

Es gibt also keinen Druck, eine Menge Platten zu verkaufen, um die Kinder durchfüttern und das Kindermädchen bezahlen zu können?

Judith: Andersrum: Ein gewisses Level von Erfolg braucht es, um diese Band zu ermöglichen. Ich habe mit Leuten gesprochen, die auf Covern von Musikmagazinen sind und die sagen “Meine Freundin und ich hätten auch gern ein Kind, aber es kommt nicht in Frage”. Das sind Leute, bei denen ich denke, die sind internationale Indiestars. Klar, es ist eine Balance. Wenn es irgendwann nur noch sehr wenige Leute hören wollen, was wir machen, dann müssen wir uns wieder was Neues überlegen.

Judith, ist das Titelstück “Bring mich nach Hause” deine Liebeserklärung an Pola?

Judith: Das Lied ist aus einer gewissen Erschöpfung heraus entstanden. Da geht es um Verlorenheit, um Verlaufenheit, aber auf der anderen Seite auch ums Zuhause, das speziell für uns ein inneres Zuhause haben. Am Anfang waren eure Lieder oft recht politisch. Jetzt hatten wir die Wirtschaftskrise, und überhaupt gibt es ja massig politische Themen zur Zeit.

Seid ihr damit durch?

Judith: Interessanterweise haben wir vor Jahren schon alles gesagt zu Themen wie Konsumterror, Ellbogengesellschaft oder Gerechtigkeit. Was hätten wir da noch hinzufügen sollen? Und die zwei politischen Songs, die wir hatten, die haben wir von der Platte runtergenommen. Weil sie einfach nicht auf dieses Album gepasst hätten.

„Die Ballade von Wolfgang und Brigitte“ handelt von einem etwas hippiemäßigen Paar, das in seiner Beziehung sehr viel ausprobiert, ohne wirklich glücklich zu werden. Wer sind diese Menschen?

Judith: Ich keinne aus dem weiteren Umfeld meiner Eltern unheimlich viele Leute, von de nen ich weiß, dass sie sich ordentlich was zugemutet haben im Laufe ihres Lebens (lacht). Die ganze Palette auch des Ausprobierens von Konzepten. Ich glaube, viele Leute, damals wie heute, zerbrechen in Liebesdingen daran, dass sie versuchen, irgendwelche Konzepte durchzuziehen, von denen sich irgendwann herausstellt, dass sie ihnen doch nicht so passen.

Würdest du Tipps erteilen, wie man mit der Liebe umgehen sollte?

Judith: Der einzige Liebesratschlag wäre vielleicht, dass man nicht immer das Drama suchen sollte. Ich kenne viele Leute, die immer wieder Drama machen. Da habe ich auch viel Mitgefühl und sitze mit der Freundin auch gerne zum zwanzigsten Mal da und rede mit ihr darüber, wie dieses und jenes nun wieder pass ieren konnte. Aber vielleicht sollte sie sich einfach mal einen suchen, der nett ist (lacht).

Steffen Rüth 
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