PHILIP BOA - SO WHAT
Die aus Dortmund stammende und seit Jahren teils auf Malta lebende Ikone des Indiepop besinnt sich mit 46 Jahren ganz auf die ureigenen Stärken. Phillip Boa hat mit „Diamonds fall“ ein harmonisches wie hymnisches Album abgeliefert, das den Vergleich mit seinen großen Würfen aus den Anfangsjahren nicht zu scheuen braucht.
Phillip, man kann sich darauf verlassen: Alle zwei Jahre kommt ein neues Album von dir. Das neueste heißt „Diamonds fall“. Routine oder immer wieder aufregend?
Phillip Boa: Wohlige Routine Genauso wie auf Tour zu gehen. Eigentlich ist das ja alles
auch wie eine Sucht. Man kommt da nicht von los. Auf der anderen Seite ist die Nachfrage immer vorhanden. Immer, wenn ich vom Aufhören spreche, hinterlasse ich damit eine irritierte, traurige Fangemeinde. Die Leute lassen einen spüren, dass sie nicht wollen, dass Schluss ist. Und den Leuten will ich nicht wehtun.
Wie äußert sich diese Sucht bei dir konkret?
Boa: Eigentlich hatte ich dieses Jahr kein Album geplant. Ich wollte eine längere Pause
machen. Aber dann bin ich doch wieder nach Malta gegangen und konnte dort nicht anders – ich musste einfach Songs schreiben. Man hört den Songs an, dass ich keine Intention
hatte, ein Album zu veröffentlichen. Denn sie klingen so frei, sie atmen, ganz ohne Druck vom Businesssystem. Irgendwann waren zehn Stücke da und ich dachte, da die Musikszene eh absurd geworden ist, bringe ich es doch einfach raus. Dann habe ich mir Leute gesucht, die das mit mir, mit viel Spaß und wenig Stress auf den Weg bringen und bin bei meiner alten Firma „Roughtrade“ gelandet.
Man kommt bei deinen Firmenwechseln kaum noch mit.
Boa: Das ist für mich normal. Ich hatte schon alle möglichen Labels, ich bin damit aufgewachsen. Ich finde das cool, wozu soll man stehen bleiben? Im Musikgeschäft ist es sehr schwierig. Das Wohlbefinden der Künstler hängt stark an bestimmten Personen. Wäre ich bei jemandem wie Clive Davis, der ja von Janis Joplin bis Santana alle entdeckt hat, unter Vertrag, dann wäre ich wahrscheinlich auch geblieben. Ich habe ohnehin keine Lust mehr, Plattenfirmen zu verteufeln. Die haben alle enorme Probleme, sich auf dem Markt zu behaupten.
Du hast seit Jahren mit dem Rücktritt von der Musik kokettiert. Ist das Thema also vom Tisch?
Boa: Ach, das ist doch ein Klischee, das ich da bediene. Jeder Musiker sagt doch nach drei Alben, jetzt hat er keine Lust. Das hat doch auch jeder. Wenn du acht Artikel in der Woche geschrieben hast, der Verlag Druck macht und du noch eine fette Erkältung hast, dann sagst du doch auch „Ich mache diesen Scheiß nicht mehr“. Das ist doch alles menschlich.
Und du hast jetzt keinen Druck mehr?
Boa: Es würde mir nicht weh tun, wenn die Platte nicht die Charts käme. Aber mir würde weh tun, wenn „Diamonds fall“ nicht gut kritisiert würde.
„Diamonds fall“ schwelgt in großen Popharmonien und erinnert an deine großen 80er-Jahre-Erfolge wie „Container Love“. Absicht?
Boa: Ja. Ich habe gelernt, dass es mir nichts bringt, den Trends hinterherzulaufen, um die Plattenfirmen zu befriedigen, die ein junges Publikum erreichen wollen. Das will ich zwar auch, doch die Mittel erschienen mir falsch. Ich verstehe zwar zu Phasen, in denen ich etwa Strokes-Produzent Gordon Raphael gearbeitet habe. Aber wenn ich versuche, einer Band wie den Arctic Monkeys oder den Strokes nachzueifern und schnell und modern zu klingen, ist das absurd. Denn diese Bands eifern ja ihrerseits der Sorte Musik nach, die es schon gab, als ich selbst noch gar keine Musik gemacht habe. In der Kunst gibt es Stillstand, im Kino im Prinzip auch, in der Klassik sowieso. Es gibt alles schon. Mit Jaki Liebezeit habe ich da sehr viel drüber diskutiert. Er meinte, die westliche Musik sei tot. Er hört dann lieber afrikanische Voodoodrummer auf Youtube. Ach, und dann habe ich eben beschlossen, ich mache nur noch, was ich will: Große Songs zu schreiben und ein guter Songwriter zu sein. Da ich immer wieder
zu hören kriegte, dass meine alten Lieder besser waren, hat mich der Ehrgeiz gepackt, nochmal richtig gute, generationsübergreifende Songs zu schreiben.
Inwiefern generationsübergreifend? Weil mit Jaki Liebezeit, dem ehemaligen Schlagzeuger der Band Can, ein 70-Jähriger mitspielt?
Boa: Auch. Jaki ist der Älteste, während der jüngste Musiker gerade mal 21 ist. Es war immer ein Traum von mir, mit Jaki was zu machen. An der Stelle, endgültig nur noch die Musik machen zu können, die ich will, erschien er mir als der richtige Träger, um diesen Wunsch auch nach außen hin zu zeigen.
Wie geht das eigentlich: Große Songs schreiben? Wie ist ein Stück wie „Valerian“ oder „Lord have Mercy with the 1-Eyed“ entstanden?
Boa: Bei mir funktioniert das über grobe Textideen. Ähnlich wie, ich will mich jetzt nicht vergleichen, aber wie bei Bob Dylan. Der hat Zeilen, die will er vertonen. Bei „Lord have Mercy“ war es so, dass unsere Studiokatze in Malta nur ein Auge hat und immer von den anderen Katzen angegriffen hat. Immer will die raus, wird aber jedesmal wieder überfallen von den anderen Katzen. Dieses liebenswerte Tier namens Minnie mit dem einen Auge war als Ausgangspunkt für das Lied. Und nun hat man als Text eine Romanze, gleichzeitig aber auch ein wenig Gesellschaftskritik. Der Song entwickelt sich dann, indem man versucht, den richtigen Sound dafür zu finden.
Wieviel Gesellschaftskritik ist denn auf der Platte?
Boa: Insgesamt wage ich einen ziemlich misstrauischen Blick auf unser Leben. Verbitterte Kritik ist das aber nicht, ich mag auch keine politischen Inhalte, die man auf den ersten Blick erkennt.
Was macht dich denn misstrauisch?
Boa: Alles, was ich sehe.
Wieviel Nostalgie spielt auf Songs wie „60’s 70’s 80’s 90’s 10“ oder „Fiat Topolino“ mit?
Boa: „60’s“ beschreibt dieses ewige Recyclen. Und warum das immer noch funktioniert. Warum gehen denn 20-Jährige in Konzerte von Leonard Cohen? Was hat dieser Mann der Jugend zu sagen? Dann stellt man fest, dass seine Musik vollkommen zeitlos ist und sein Einfluss bis heute auf alle anderen Künstler vorhanden ist. Man hat dann ein Publikum, das einerseits immer älter wird. Dazu hast du aber auch immer wieder junge Leute, die sich in diesem Lebensgefühl wiederfinden. Die hast du bei Cohen, bei The Cure, bei mir, bei wem auch immer. Nostalgie? Klar, so kannst du es nennen. Aber für mich hat diese Haltung der Altersverweigerung etwas tief Romantisches.
Freust du dich darauf, im Alter von Leonard Cohen oder Jaki Liebezeit noch auf der Bühne zu stehen?
Boa: Mittlerweile habe ich mich mit dem Altwerden im Pop abgefunden. Ich muss in den Spiegel gucken können. Das heißt, ich darf mich nicht prostituieren und möchte ein bisschen Erfolg haben, dann komme ich klar. Ich sehe auch jetzt nicht, dass der Nachwuchs so viel besser ist, als dass für mich kein Platz mehr wäre. Im Gegenteil.
Man liest über dich, du seiest „merklich gereift“. Siehst du das auch so?
Boa: (lacht) Schon, ja. Ich bin lässiger geworden. Früher habe ich mich über jeden Kram aufgeregt. Heute sage ich immer wieder „So what“.
Interview: Steffen Rüth
Foto: Bart E. Streefkerk