INTERVIEWS

Northern Lite Besinnen sich auf sich selbst

Dem großen, globalen Spieler der Plattenindustrie haben Northern Lite adieu gesagt. Sie machen wieder ihr eigenes Ding. Im zwölften Jahr. Und mit der sechsten Platte, „Letters and Signs“ im Gepäck. Das Album zeigt Northern Lite als gereifte Band, die innerhalb ihres eigenen Genres weiterhin für elektronische Feinkost der Sonderklasse steht. Die Erfurter Nachteulen gehen zurück zu ihren Wurzeln und legen die zwangloseste, schnellste Produktion ihrer Bandgeschichte vor. Die zehn Stücke sind wieder von Northern Lite selbst produziert. Den Mix erledigt Philipp Hoppen , der auch bereits für die Ärzte und die Beatsteaks hinter den Reglern saß. Hier geben Andreas Kubat, Sebastian Bohn und Gitarrist Frithjof Rödel bei Franz X.A. Zipperer ihre Interviewvisitenkarte ab.

northern lite

Franz X.A. Zipperer (fxaz): Dem sicheren Hafen der großen Plattenfirma haben Northern Lite Lebewohl gesagt und wieder die eigene Fahne am Mast hochgezogen, warum?

Andreas Kubat (aku): Ob das so ein sicherer Hafen war, sei mal dahingestellt. Das freie Spiel unserer kreativen Kräfte, das wurde dort wohl nie richtig verstanden. Ein Versuch war es und auch der bezog sich nur auf die beiden letzten Alben. Doch wir sind sehr froh, keine künstlerische Kontrolle mehr abgeben zu müssen. Und unsere eigene, kleine aber feine Firma 1st Decade Records, die haben wir ja nie aufgeben.

fxaz: Mit dem Hinweis auf das freie Spiel eurer kreativen Kräfte hast du gleich ganz zentrale Anliegen von Northern Lite angesprochen, nämlich die Kraft der Band, sich gegen alle Festlegungen zu wehren, auf der einen Seite und auf der anderen Seite die Fähigkeit bis dato Unvereinbares zusammenzubringen, ...

aku: ... Northern Lite haben stets versucht, sich ihr eigenes Genre zu schaffen. Seit nunmehr 12 Jahren. Gegen viele Widerstände. Aber die gibt es zwangsläufig, wenn du losziehst und Gitarrenriffs genauso magst, wie wummernde Technobeats. Und dann auch noch her gehst und diese Klänge ins jeweils andere Lager schmuggelst. Rockenden Elektropop oder elektronischen Indierock, das gab es vorher nicht. Damit haben wir auch widerlegt, dass elektronische Musik klassisches Songwriting ausschließt.

fxaz: Nachdem ihr so lange dabei seid, ist es Zeit für ein wenig Bandgeschichte.

Sebastian Bohn (sebo): Also gut, im Zeitraffer. Alles begann 1997. In Erfurt. Ich glaube die ersten drei Jahre haben wir nur in unserem kleinen Studio, dem Small Chamber Room gesessen und am Sound getüftelt. Daraus ist dann das erste Album entstanden, „Small Chamber Works“, das war 2000. Im gleichen Jahr erfolgte unsere Labelgründung. Ein Jahr später haben wir die Gitarren dazu genommen. 2001 fing eigentlich die aktive Bandgeschichte an. Dann haben wir verstärkt getourt, fast jedes Wochenende gespielt und das Ganze kam ins Rollen. 2004 haben wir „Reach The Sun“ rausgebracht und dann immer im Anderthalbjahres-Takt immer ein neues Album. Dieses Jahr „Letters and Signs.“ Das war viel Arbeit und die letzen Jahre sind verdammt schnell vergangen. Und auf einmal waren es zwölf ...

fxaz: ... dabei ist der Club ebenso euer Zuhause geworden, wie die großen Rockbühnen der Republik. Gibt es dabei einen Unterschied zwischen Clubtauglichkeit und Konzerttauglichkeit eines Stückes? Oder werden die Lieder auf unterschiedliche Art dargeboten?

sebo: Inhaltlich sind die Sets nicht so unterschiedlich, eher die Art und Weise, wie wir sie darbieten. Bei den großen Konzerten sind die griffigeren Songs gefragt und auf den Clubbühnen kann man die Sachen auch ein bisschen auswalzen, kann Sachen viel länger machen und in Clubs ist die Musik dann tatsächlich clubbiger. Ich glaube, die größere Rolle spielt das Publikum an sich, vor wem spielen wir da? Ist es jetzt eher alternativ, darklastig ausgerichtet oder geht es eher in die Technorichtung. Danach entscheidet sich, wie man das spielt.

fxaz: Was ist bei „Letters and Signs.“ anders als bei den früheren Veröffentlichungen, welches Soundkonzept habt ihr gewählt? Beim Zuhören sind mir deutlich mehr Ecken und Kanten aufgefallen ...

aku: ... man kann sagen, Northern Lite sind angekommen. Bisher haben wir immer noch gesucht und haben versucht, uns zu entscheiden. Für dies, für die Elektronik oder für die Gitarren. Und bei diesem Album haben wir uns entschieden, uns nicht entscheiden zu wollen. Es gibt auf der Platte wirklich Ausflüge in alle Richtungen. Es ist gleichzeitig das schnellste Album von Northern Lite, eins mit Kanten und harte Elektroecken. Tiefe Texte und brüllende Gitarren verschmelzen zu hymnischen Melodien. Das macht glaube ich, den Sound aus und das ist auch das, was neu ist ...

Frithjof Rödel (frijö): ... die Stücke sind wesentlich griffiger, weisen weniger Details auf und sind weniger episch, ...

sebo: ... wir haben weit mehr experimentiert, viel freier gearbeitet. Es ist ein Album voll von frischem Sound und wir haben darauf verzichtet, alle Ecken auszumalen.

fxaz: Wie habt ihr hinsichtlich der Texte dieses mal gearbeitet?

aku: Ein Album ist rein textlich gesehen immer eine Momentaufnahme. Das was man gelesen, gesehen, gehört und gefühlt hat, sammelt sich. Herzschmerz war nicht
mehr das primäre Thema bei mir. Ich habe einfach unheimlich viel über das Leben nachgedacht. Über Gluck. Wünsche. Den Sinn von alledem. Man versucht alles in eine mathematische Gleichung zu packen und hofft, dass am Ende eine Lösung steht. „The Land Of Dreams“ und „The Sick Rose“, zwei Stücke des Albums entstanden auf Basis der Gedichte von William Blake. Er hat mich inspiriert.

Wie auch auf den vorhergehenden CDs haben Northern Lite ein kleines Gesamtkunstwerk geschaffen. Eines, dem auch live Ausdruck verliehen wird. Dafür stehen sie und nicht umsonst haben Northern Lite es geschafft, auf der letzten Tournee mehr als 100.000 Menschen zu mobilisieren.


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