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Sido - Ich bin kein Vorbild

„Aggro Berlin“ heißt sein viertes Album, es ist benannt nach seiner alten Plattenfirma, die es nun nicht mehr gibt. Aggressiv sind Sidos neue Nummern allerdings kaum noch. Der Mann, der vor 28 Jahren in Ost-Berlin als Paul Würdig zur Welt kam, gibt sich so zuversichtlich und lebensbejahend wie nie zuvor. Wir sprachen mit Sido in München.

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Sido, früher warst Du arm, heute bist Du wohlhabend. Was ist Luxus für dich?

Sido: Übernachtbestellungen im Internet. Neulich war ich abends scharf auf die neue Playstation. Ich habe sie direkt bestellt, und für 13 Euro Aufpreis kam sie am nächsten Morgen. Ich bin und werde aber keiner, der krassen Wert auf diesen ganzen HipHop-Luxus legt. Ich brauche nicht viel zum Leben, und ich verprasse nichts.

Wie kommt es dann, dass du dein neues Album in Los Angeles aufgenommen hast und bei Hugh Hefner in der legendären „Playboy“-Villa eingeladen warst?

Sido: Als Aggro Berlin dichtgemacht hat, weil sich das Rapbusiness einfach nicht mehr lohnt, haben natürlich gleich alle großen Plattenfirmen bei mir angefragt. Jetzt bin ich bei der größten Firma von allen, und als die mich fragten, wo ich denn mein Album aufnehmen will, habe ich gesagt „In Hollywood“. Sollte eigentlich ein Witz sein.

Aus dem Ernst wurde.

Sido: Exakt. Es hieß „Kein Problem, wir kümmern uns um alles“. Und ich dachte „Dann macht mal.“

Wie war LA?

Sido: Eher öde. Überschätzt und zu unübersichtlich. Gute Songs sind mir dort auch nicht eingefallen, ich habe dann doch fast alles in Berlin geschrieben und aufgenommen. Und die Party in der „Playboy-Villa“? War total affig. Sowas brauche ich nicht mehr.

Aber du gönnst dir immerhin eine Autosammlung?

Sido: Ja, zwei Touregs, die finde ich geil. Und einen 7er BMW. Dummerweise habe ich keinen Führerschein. Ich hatte mich für die Prüfung schon angemeldet, nur bin ich dann eine Woche vorher ohne Lappen erwischt worden.

Das ist aber schon ein bisschen dämlich.

Sido: Hmm, ja. Jetzt muss ich auf die Verhandlung warten. Mein Anwalt sagt, mir drohen bis zu zwei Jahren Fahrsperre.

Wo wohnst du?

Sido: In Friedrichshain, aber in einer anständigen Gegend dort. Autos haben bei uns in der Ecke noch nicht gebrannt. In der Nachbarschaft wohnt ein Botschafter, ich glaube, da passt die Polizei ein bisschen mehr auf als anderswo in Berlin.

Wie kommt es, dass du gerade jetzt in – in deiner Single “Hey Du” - deine ostdeutsche Herkunft thematisierst?

Sido: Das habe ich mir nicht jahrelang vorgenommen, falls du das andeuten willst. Es ist so, dass ich immer schon ein großer Fan vom Musical “Linie 1” war, das in Berlin gespielt wird. In der Schule wurde uns das aufgezwängt, aber selbst da fand ich es schon ziemlich klasse. Gerade dieses Lied war mir immer im Kopf, “Marias Lied” heißt es. Das habe ich dann gesampelt und so ist “Hey Du“ entstanden. Wie es in den Lied heißt, wollte ich was erzählen von mir, was ich noch nie jemandem erzählt habe, nicht mal meinem besten Freund. Nämlich: Dass ich aus dem Osten bin.

War dir das peinlich?

Sido: Vor meinem besten Freund war mir das irgendwann peinlich, ja. Weil ich zu tief drinsteckte in meiner West- Identität. Meine Mama und konnten kurz vor der Wende ausreisen, wir kamen im Wedding ins Asylantenheim. Ich war acht, galt bei allen als der asoziale, blöde Ostler und hatte ständig Ärger. Immer, wenn wir umgezogen sind, habe ich es weniger Leuten erzählt. In der 5. Klasse kam ich ins Märkische Viertel. Dort habe ich es niemandem mehr erzählt und nie wieder ein Problem damit. Irgendwann gab es dann Rapper aus dem Westen und Rapper aus dem Osten. Wwir haben Songs gemacht, die “Westberlin” hießen und die Fahne echt hochgehalten. Es wäre ein Riesenproblem gewesen, wenn einer der Anführer von diesem Westberlin-Hype auf einmal ein Ostler ist. Das wäre scheiße gewesen.

Passt zum 20-jährigen Mauerfalljubiläum.

Sido: Stimmt, obwohl der Song selbst schon fast zwei Jahre alt ist. Aber es ist natürlich nicht dumm, den jetzt als Single rauszubringen.

Du warst recht fleißig. Dein letztes Album “Ich und meine Maske” ist ja erst vor einem Jahr rausgekommen.

Sido: Klar, ich bin fleißig wie ein Ostler.

Wieviel DDR steckt denn noch in dir?

Sido: Ich war acht Jahre, als wir gegangen sind.

Was sind deine Erinnungen?

Sido:Schon der Kindergarten im Osten war richtig straff organisiert. Das mit dem Drill fing früh an. In der Schule ging es dann noch krasser weiter. Ich war ein kleiner Junge, aber ich schon viel mitgekriegt. Mama hat mich immer gewarnt, dass ich unseren Nachbarn bloß nicht zu viel erzählen soll. Eines Nachts wurde ich wach und sah, wie ein Nachbar von seiner Fensterbank aus in mein Zimmer
geglotzt hat.

Hättest du dir vorstellen können zu bleiben?

Sido: Chancen hätte ich in dem System gehabt. Vieles war selbstverständlich. Du hattest Arbeit, Wohnung und eine vernünftige Schule. Auch ein Auto hast du irgendwann gekriegt. Obdachlose hat es in der DDR nicht gegeben. Aber ich bin ein Mensch, der die Freiheit liebt und der Autoritäten hasst. Ich wäre im Osten sehr schnell angeeckt.

Also war nicht alles schlecht?


Sido: Das System hatte seine Vorteile. Aber eine Mischung aus Kapitalismus und Sozialismus, die funktioniert einfach nicht. Wenn jeder eine Arbeit kriegt, egal wie dumm oder faul er ist, ist das das Gegenteil von Kapitalismus. Ich denke, es müsste ein ganz neues System her - auf demokratischer
Basis.

Wie sähe dein politisches Programm aus?


Sido: Ziemlich verrückt, weil ich chaotisch bin. Aber eine gute Partei ist für mich eine Partei, die sich um die Kleinen im Volk kümmert. Natürlich denkt man, ich mit meinem Einkommen bin der typische CDU-Wähler. Bin ich aber nicht, gar nicht.

Sondern?

Sido: Ich kümmere mich um die Leute um mich herum, die weniger haben, bei denen es hapert. Vor allem an Bildung. Ich meine, man müsste gar nicht mal unbedingt mehr Geld investieren. Aber das, was man macht, mit mehr Augenmerk begleiten. Neue Lehrer sollten eingestellt werden, die Klassen sollten verkleinert werden. 35 Leute in einer Klasse, das ist unmenschlich. Der Typ mit Legasthenie, der sich hinten versteckt, wird nie einen guten Abschluss und eine gute Arbeit kriegen. Aber wenn nur 15 Leute in der Klasse sind, dann sieht der Lehrer, dass er es mit einem Legastheniker zu tun hat und kann ihn individueller fördern.

Du selbst hattest zwar keinen Bock auf die Schule, aber trotzdem ist was aus dir geworden. Was hast du richtig gemacht?


Sido: Ich hatte einfach Glück. War am richtigen Ort zur richtigen Zeit. Und ich kann das alles tragen. Ich bin irgendwie witzig und unterhaltsam. Das ganze Gesamtpaket bei mir ist gut. Dazu muss man geboren sein.

Du bist ein Gegenbeispiel dafür, dass man aus der Unterschicht kommen und trotzdem Karriere machen kann.

Sido: Ich weiß. Aber ich bin kein Vorbild. Die einfachere und bessere Lösung ist es, in der Schule aufzupassen.

Dein Sohn ist neun. Hilfst du ihm bei den Hausaufgaben?

Sido: Ja. Wenn ich ihn von der Schule abhole, dann mache ich die mit ihm. Ich stecke da auch drin, ich weiß, was die gerade machen in der Grundschule.

Wobei du nicht das ideale Vorbild bist, was Schulleistungen angeht, oder?


Sido: Ich war keiner von den Dummen. Bloß hat mich die Schule irgendwann nicht mehr interessiert, mir wurde das alles so langweilig, ich hatte mich mehr für andere Dinge begeistert. Wobei ich wirklich eine gute Schule hatte. Ich glaube auch, das Viertel, mein Umgang damals, hatte viel dazu beigetragen, dass das mit der Schule und mir nicht mehr so gelaufen ist.

Du sagst, die neue Platte sei ein “Neuanfang”. Wie meinst du das?

Sido: Das mit dem Neuanfang meiner ich eher auf privater Ebene. Musikalisch ist jedes Album ein Neuanfang, weil ich immer versuche, so authentisch wie möglich zu sein. Die Musik ändert sich, die Aussagen ändern sich, weil sich auch mein Leben bis jetzt mit jeder Platte geändert hat. Ich habe auch den Anspruch, dass sich meine Musik mit mir mit verändert.

Bist du bürgerlich geworden?

Sido: Jein. Du hast den Jungen aus dem Märkischen Viertel gekriegt, aber nicht das Märkische Viertel aus dem Jungen. Ich fühle mich nicht so wie die Leute, die bei mir im Haus leben. Ich bin Derselbe geblieben, auch wenn sich die Umstände um mich herum geändert haben.

Seit vier Jahren hast du eine feste Beziehung mit der Sängerin Doreen Steinert, die einst in der Castingband Nu Pagadi gesungen hat. Ihr lebt auch zusammen.

Sido: Ja, unsere Beziehung ist nicht nur fest, sondern auch sehr ernsthaft. Die erste richtig ernsthafte Beziehung, die ich je hatte. Mit Doreen komme ich wirklich zur Ruhe. Früher blieb ich auf Parties immer bis zum Schluss, heute langweilt mich das meistens. Da freue ich mich lieber auf die DVD zu Hause und den nächsten Level auf der Playstation.

Du singst in “Für Jeden”zum Beispiel die Zeile: “Ich könnte eine gute Zukunft haben” oder “Ich hoffe, das hilft euch durch die schweren Tage”. Diese Lebensbejahung gab es früher auch nicht.

Sido: “Augen auf” von meinem letzten Album ging auch schon in diese Richtung. Diese sanfteren Töne gab es also schon vorher. Ich finde, wenn man die Chance hat, etwas zu sagen, und die Leuten einem zuhören, dann sollte man diese Chance auch nutzen. Ich habe festgestellt, dass viele Kids gerne solche Hymnen von mir hören, also mache ich jetzt mehr davon. Mir wird ja immer gerne vorgeworfen, dass ich keine Moral habe.

Stimmt aber nicht?

Sido: Stimmt absolut nicht. Ich bin immer sehr darauf bedacht, nicht irgendeine Scheiße zu quatschen. Ich möchte die Leute nicht verrohen, auch keine negative Propaganda machen. Mir werden überhaupt komische Sachen vorgeworfen.

Was denn noch?

Sido: Das es zwei Sidos gibt und nur einer davon der Echte ist. Also entweder sei der harte Kerl von früher gespielt oder dieser versöhnliche Sido von heute. Dabei sind die alle echt. Ich bin älter geworden und nicht so wie damals vor acht Jahren. Das kann ja wohl jeder verstehen. Ich bin mittlerweile 28 und möchte auch entsprechende Musik machen.

Wie weit bist du mit dem Film über dein Leben, den du seit längerem planst?

Sido: Der kommt, musste aber verschoben werden, weil meine Plattenfirma dieses Jahr unbedingt noch das Album wollte. Außerdem habe ich mich ein bisschen gehenlassen. Im April fangen wir aber an zu drehen.

Ärgert es dich, dass Bushido seinen Film schon abgedreht hat?

Sido: Bushido ist mein Konkurrent. Überhaupt der einzige, den ich noch habe. Aber sein Film spornt mich eher an, einen noch besseren zu machen. Und ich bin überzeugt, das wird mir auch gelingen.


Text: Steffen Rüth  Bilder: Universal Music


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