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Helge Schneider

Das Ambiente könnte gediegener kaum sein. Helge Schneider, 54, sitzt im plüschigen „Handelshof“, dem besten Hotel seiner Heimatstadt Mülheim an der Ruhr. Der möglicherweise lustigste Mann Deutschlands trägt einen dicken und sehr gemusterten Norwegerpulli zu blauer Stoffhose, trinkt Tee, isst ein Stück Marzipantorte und ist ausgezeichnet gelaunt. Anlass der Unterhaltung ist Schneiders neues Bühnenprogramm „Komm hier haste ne Mark!“.




helge schneiderHelge, die D-Mark ist seit acht Jahren abgeschafft. Sind Sie ein Nostalgiker?

Schneider: Ich glaube nicht. Ich habe allerdings zwei alte Autos, und ich bin einer, der sich für Formen interessiert. Ich weiß einen schönen Stuhl aus den Dreißiger Jahren genauso zu schätzen, wie ein schönes Möbel aus dem Jahr 2009.

Stimmt es, dass Sie mit ihrer Partnerin Maria und der gemeinsamen Tochter Frieda auf einem Bauernhof leben?

Schneider: Nein, unser Haus war mal ein Ausflugslokal inklusive Kegelbahn im Keller, aber kein Bauernhof. Wir haben Schafe, so kleine Zwergschafe, die für sich selbst sorgen können. Und drei Hunde in verschiedenen Größen.

Hat Helge Schneider eine Facebook-Seite?

Schneider: Ich habe keine. Ich habe allerdings schon mal mitbekommen, dass sich dort jemand für mich ausgegeben hat. Dann sprechen mich Leute an und sagen “Toll, Helge, auf Facebook steht, dass du in Urlaub fährst”. Aber nein, ich interessiere mich da nicht so für. Ich sitze zwar auch manchmal im Internet, und gucke dann gerne alte Jazzfilme an auf Youtube. Aber wenn man seine Freundschaften nun auch noch per Internet pflegen muss, dann hockt man ja mit Kopfschmerzen mehrere Stunden lange vor so einem Gerät. Und das möchte ich nicht so gerne.

Sie haben fünf Kinder. Die älteste Tochter ist Ende 20, die jüngste zwei Jahre alt. Erziehen Sie ihre Kinder mit einer gesunden Portion Anarchie?

Schneider: Ja, ich denke schon. Von mir kommt der Satz “Kinder müssen frech sein”. Nicht böse, aber frech.

Könnte man sagen, dass das gesamte Schaffen des Helge Schneider aus einem kindlichen Spieltrieb heraus entsteht?

Schneider: Ja, das stimmt. Wenn ich auftrete, dann breche ich jetzt manchmal Nummern einfach mittendrin ab und fange was Neues an. Das ist überraschend für die Leute, sie verstehen es manchmal nicht. Aber das liegt daran, dass ich dieses Fertige langweilig finde. Ich könnte nicht jeden Abend eine Sonate von Beethoven spielen. Ich will die Sonate zwar spielen und können, aber ich will auch mittendrin ein anderes Stück reinschneiden und total umdenken können.

Sie wissen also noch nicht genau, was bei den kommenden Auftritten so alles passiert?
Schneider: Nee.


Sie wirken wie jemand, der in kein Schema passen möchte. Wie wichtig ist Ihnen Freiheit?
Schneider: Das Denken muss immer frei bleiben. Ich muss erfinden und fantasieren können, wie ich will. Die persönliche Freiheit in meinem Kopf - das ist der Hauptgrund, warum ich lebe. Das Drumherum, dass ich nicht frei sein kann, weil ich ins Ausland oder so meinen Ausweis mitnehmen muss, die nehme ich in kauf. Ich wollte mal nach Polen laufen und hatte keinen Ausweis dabei. Da haben sie mich zurückgeschickt, weil ich mir die Freiheit nicht nehmen ließ, meinen Ausweis nicht mitzunehmen.

Macht Helge Schneider aus Kitsch Kunst?

Schneider: Nein. Es gibt zwar kitschige Elemente in meinen Shows, zum Beispiel habe ich eine Zeit lang immer High Heels mit hohen Plateausohlen getragen, aber ich mache nicht die Schuhe zur Kunst, ich laufe da nur drauf rum. Aber durch kitschige Klamotten mache ich mich nicht zur Kunstfigur. Bei mir bleibt Kitsch Kitsch und Kunst Kunst.

Als Sie vor 15 Jahren mit “Katzeklo” erfolgreich wurden, warf man Ihnen gelegentlich vor, für den Verfall der humorigen Sitten verantwortlich zu sein. Inzwischen gilt Ihr Schaffen fast schon als Hochkultur und die humorigen Sitten zerstören ganz andere Leute.

Schneider: Da ist was dran, aber ich habe mich auch weiterentwickelt. Vor 20 oder 30 Jahren war mein Humor noch viel aggressiver. Das war damals ein anderer Helge. Nämlich der, der noch nicht bekannt war, und der in sich noch ziemlich zornig darüber war, dass die anderen Leute die Jazzmusik, die er so gerne hatte, überhaupt nicht so gerne hatten. Auch Leute aus meinem Umfeld, Freunde, da ging man irgendwo hin, Düsseldorfer Altstadt oder so, und dann sagten die “In den Laden habe ich keine Lust, da spielt heute eine Band”. Das habe ich nie verstanden. Ich fand es immer gut, wenn eine Band spielt.

Heute auch noch?

Schneider: Natürlich. Neulich war ich in einem italienischen Restaurant, als drei Rumänen reinkamen. Einer spielte Akkordeon, die beiden anderen trommelten auf einer kleinen Trommel. Der am Akkordeon war aber wirklich super. Da sitzen dann die Leute, halten sich die Ohren zu, und eine Frau hatte mich erkannt. Die sagte zu mir “Das ist ja furchtbar. Das muss man schon können, ne?” Da habe ich nichts gesagt und habe den Rumänen 20 Euro gegeben. Diese “Damit will ich nichts zu tun haben”-Mentalität der Leute finde ich zum Kotzen.

Haben Sie Lust, mal im Stadion zu spielen? So wie Mario Barth?


Schneider: Nee, Stadion ist schrecklich. Der Rahmen wäre mir zu groß. Auch zu große Hallen finde ich nicht gut, da hallt es immer so.

Würden Sie gern eine Castingshow leiten, so quasi als Dieter Bohlen der gehobenen Comedy?

Schneider: Kein Interesse. Ich würde mich nie irgendwo hinsetzen und sagen “Du bist gut und Du bist schlecht.” Diese Dreistigkeit würde ich mir niemals erlauben. Ich gucke das ja manchmal im Fernsehen, und finde das alles sehr zweifelhaft, wenn auch ganz unterhaltsam.

Und wenn Sie heute anfingen, würden Sie bei “Das Supertalent” mitmachen.

Schneider: Nein, nein. Ich wollte ja gar nicht von der Musik leben. Ich war allerdings einmal selbst bei einem Jazzwettbewerb, sogar Eugen Cicero, der Vater von Roger, saß da in der Jury. Das war das Einzige, was ich je in Richtung Talentwettbewerbe gemacht habe. Ich habe damals tatsächlich einen Preis gekriegt und durfte die Hälfte einer Schallplatte aufnehmen. Diese heutigen Casting-Shows sind aber noch mal eine ganz andere Welt, die Teilnehmer können ja alle nichts. Das sind Schafe, die alle in der Herde laufen und durch so einen ganz engen Trichter durch möchten. Vom Charakter wäre das schon nichts für mich. Denn ich will ja gar nicht erst dazugehören. Ich bin immer der Outlaw gewesen. Ich finde Einzelgänger, nicht nur aber auch im Western, gut.

Haben Sie Angst, jemals angepasst oder sogar spießig zu werden?

Schneider: Überhaupt nicht. Diese Spießigkeit von heute ist in 200 Jahren sowieso wieder cool, das wechselt ja immer, diese Moden. Ich habe neulich im Autoradio einen Song gehört von Peter Maffay “Und es war Sommer”, ein furchtbares Lied, in dem es darum geht, wie er mit 16 von einer 39 Jahre alten Frau in die Liebe eingeführt wird. Da habe ich überlegt, als der das damals aufgenommen hat, tickte die Welt noch anders, und ein 16-jähriger Junge, der mit einer 39-jährigen Frau was hatte, das konnte man sich vorstellen. Und heute? Stell dir vor, das Lied vom Maffay hört ein Jugendrichter. Der könnte ja denken, die Frau hat den Jüngling vergewaltigt. So dreht sich die Welt, verstehst du?

Ist ihr neues Programm politischer? Es soll ja eine sozialkritische Nummer und sogar eine über Barack Obama geben.

Schneider: Ach, ich bin viel zu politisch, um wirklich politisch zu sein. Ich empfinde das, was ich mache, als brisant, auch mein Leben ist politisch.

Wie meinen Sie das?

Schneider: Das heißt, ich lebe einfach so wie ich bin. Beispiel: Ich habe vor ein paar Tagen einen Auftritt gemacht, ein bisschen improvisiert, und dann habe ich gesagt: “Westerwelle”. Nur so als Wort. Zack. Und das reicht dann. Den Rest kann sich jeder selbst zusammenfriemeln, das ist ganz diplomatisch.

Steffen Rüth

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