INTERVIEWS

Annette Humpe „Ich bin vom Glück beschienen“

Ich + Ich sind der ehemalige Boybandsänger Adel Tawil und Annette Humpe, die mit ihrer
Band Ideal bereits in den 80er Jahren musikalische Erfolge feierten. Mit ihrem dritten gemeinsamen Album, „Gute Reise“, geht Sänger Adel auf die vorerst letzte Tour
.

„Gute Reise“ heißt das neue Album, man möchte es Ihnen aber auch wünschen, denn Sie fahren jetzt erstmal in den Urlaub. War die Produktion so anstrengend?


Ja, ich fliege mit meinem Sohn nach Kreta. Die Produktion war natürlich auch viel Arbeit und jetzt liegt die erste Phase der Promotion hinter uns: viel herumreisen, zahlreiche Städte. Das schlaucht. Ich möchte aber nicht jammern, es gehört nur nicht zu meinen Lieblingsbeschäftigungen. Lieber sitze ich im Studio und spiele eine Baseline ein.

„Gute Reise“ – ist damit das musikalische Projekt Ich + Ich gemeint?



Das überlasse ich jedem selbst. Das kann schließlich auch ein Abschied sein, wenn ich einen Freund zum Bahnhof bringe, das kann auch der Tod sein. Das kann alles sein und deshalb haben wir es auch als Titel gewählt.

Erleben Sie den momentanen Erfolg aufgrund Ihrer Erfahrungen eigentlich anders als Adel?

So krass ist der Unterschied nicht. Man darf nicht vergessen, dass Adel schon mit 17 Jahren in einer Boy Band war, die es auch krachen lassen hat, die Top 10 war, in Thailand gespielt hat und bei denen Teddybärchen und Unterhosen auf die Bühne flogen. Er ist ja kein Anfänger.

Er war Mitglied einer Boy Band, Sie zählten zu den erfolgreichsten Künstlern der Neuen Deutschen Welle. Als Sie die Idee zu Ich + Ich hatten, wie waren die Reaktionen bei der Plattenfirma, den Fans?

Ich mache das ja schon etwas länger und kenne die Menschen bei den Plattenfirmen. Die haben das Potential sehr schnell erkannt. Ansonsten waren es eher Journalisten, die vor allem den Altersunterschied thematisiert haben. Bei den ersten beiden Alben wurde immer wieder darauf herumgeritten, jetzt zum ersten Mal kommt diese Frage nicht mehr.

Sie haben sich damals im Plattenstudio getroffen: Glauben Sie an Zufall oder Schicksal?

Man muss auch etwas zutun, so ganz an Zufall glaube ich nicht. Die dollsten Dinge können an einem vorbeigehen, wenn man zu dusselig ist, sie wahrzunehmen. Man muss schon mitarbeiten, ein Ziel haben, eine Vision. Wie beim Lottospielen: Man kann nur gewinnen, wenn man mitspielt.

1997 haben Sie sich von der Bühne verabschiedet. Das Sie mal wieder so im Rampenlicht stehen werden, haben Sie damit gerechnet?

Ich habe die ganze Zeit produziert, auch geschrieben. Ich habe immer Musik gemacht, nur nicht öffentlich. Bei Ich + Ich habe ich in der Anfangszeit auch wieder auf der Bühne gestanden, um das Projekt voranzubringen. Ich bin aber keine Rampensau, ich bin eher introvertiert. Schon bei Ideal bin ich nicht gerne aufgetreten, da war ich lieber im Studio.

Die erste Tour von Ich + Ich haben Sie sogar mitgemacht. Das hatte ich versprochen. Wenn das Album Gold wird, gehe ich auch mit auf Tour.

Ich hatte natürlich nicht damit gerechnet, dass wir 100.000 Scheiben verkaufen könnten. Ich dachte, das wäre ein leeres Versprechen. (lacht)

Sie haben sich schon immer mit deutscher Musik beschäftigt, inwieweit hat sich der Umgang damit verändert?

Bestimmt auch durch Xavier Naidoo sind die Texte spiritueller geworden. Er war der erste, der religiöse Texte gemacht hat, und ich kann meine buddhistische Weltsicht im Moment auch sehr gut in den Texten unterbringen. Aber das wird sich auch wieder ändern. Das funktioniert ja alles über Mangel und Überfluss, jetzt haben wir vielleicht einen Überfluss.

Nach so vielen Jahren im Musikgeschäft ist Ich + Ich trotzdem das erfolgreichste Ihrer Projekte?

Ideal, meine erste Band, spielte auch in diesen Größenordnungen. Ich habe Glück, ich bin vom Glück beschienen. Und dafür bin ich sehr, sehr dankbar. Allerdings ist das auf das Berufliche bezogen, alles andere wäre ja größenwahnsinnig.

Könnten Sie denn noch Songs schreiben, ohne die Tiefen des Lebens?

Dann würde ich wahrscheinlich darüber schreiben. Ist doch auch schön. „So soll es sein, so kann es bleiben“ von uns ist ein beliebter Song um zu Heiraten. Ich kriege jede Woche eine Mail von Leuten, die zu diesem Lied geheiratet haben.

Das zweite Album „Vom selben Stern“ erreichte Platz Eins der Albumcharts und hielt sich über 50 Wochen in den Top 15. Inwieweit hat der Erfolg der letzten Platte eine Rolle gespielt?

Wir sind doch die, die wir sind. Die Annette, die nur so und so textet, der Adel, der Sänger, der er ist. Wir bleiben die Gleichen, wollen aber einen Schritt weiter gehen. Über den Erfolg der letzten Platten haben wir überhaupt nicht nachgedacht während der Produktion. Das kommt jetzt, weil uns alle darauf ansprechen.

Wann wäre die Platte für Sie ein Erfolg, kann es so weitergehen?

Nein, kann es doch auch nicht. Ich empfinde das schon als unglaubliches Glück, zur richtigen Zeit das Richtige gemacht zu haben. Das werden wir auf gar keinen Fall wiederholen können und das ist auch völlig in Ordnung. Ich denke nicht in Zahlen. Adel wird auf Tour gehen und dann sehen, wie die neuen Stücke ankommen, ob sich die Leute darin wieder finden können oder nicht. Denn darum geht es: Dass die Leute sich abgeholt fühlen, dass sie nach Hause kommen und denken: „Genauso geht’s mir gerade.“

Einen Teil des Erfolgs, die Live-Auftritte, lassen Sie sich aber entgehen?

Ich kann das aber in unserem Gästebuch nachlesen, dort wird es nämlich detailliert beschrieben und ich lese mir das jeden Tag durch. Und manchmal ruft Adel mich von der Tour an, wenn irgendetwas Besonderes passiert ist.

Im April 2011 startet die Tour zum Album. Wer wird live Ihre Gesangsparts übernehmen?

Auf den letzten Touren sind meine Stücke dann nicht gespielt wurden, aber das muss jetzt geändert werden. Wir haben da eine ganz, ganz tolle Background-Sängerin. Maria kann viel besser singen und ich hoffe, dass sie wenigstens „Die Lebenden und die Toten“ singen wird.

Der Titel „Einer von Zweien“ auf dem neuen Album thematisiert ein Duo und man denkt automatisch an Sie beide.

Das hat ja nicht direkt mit Adel und mit mir zu tun. Einer von zweien, das zieht sich doch durchs ganze Leben. Im Kindergarten schon, da war doch immer ein Mädchen, mit dem wollten alle spielen. Es gibt so Sonnenbeschienene. Das liebe ich sehr, das Lied. Das Album wirkt noch reflektierter, noch ruhiger als der Vorgänger  Der Adel singt viel ausdrucksstärker und heftiger. Durch seine ganzen Live-Erfahrungen hat er sich stimmlich weiter entwickelt. Es geht eigentlich mehr nach vorne. Aber wenn man drei Alben betextet hat, dann destilliert man immer feiner zum Schluss.

Wenn Sie die Songs schreiben, nehmen Sie Rücksicht auf Inhalte, die Ihr jüngerer Kollege glaubwürdig singen kann?

Inhaltlich kann doch jeder unsere Musik mit seinen Erfahrungen füllen. Uns schreiben ja auch sehr junge Menschen in das Gästebuch. Auf dem Album ist kein Stück, das nicht auch von Schülern verstanden wird. Die erste Auskopplung „Pflaster“ thematisiert die Pflaster für die Seele. Was ist Ihres? Ich bekomme schon jeden Morgen zum Aufstehen ein Pflaster. Ich schaue hier auf einen See und dort sind drei Fischreiher und drei Schwäne und die üben Fliegen im Moment. Jedes Mal nach dem Aufstehen sehe ich diese drei Schwäne über den See fliegen, schöner geht’s nicht.

Und was ist Ihr Trostpflaster?

Joga – ich mache jeden Tag eine Stunde Joga. Das beruhigt mich unheimlich, ist sehr meditativ und wenn ich viel um die Ohren habe: alle etwas von mir wollen, ich entscheiden muss, welches Foto wo und wann, dann beruhige ich meinen Geist damit und kann danach in Ruhe wieder Entscheidungen treffen.


Gespräch und Interview : Martin Vejmelka
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