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Jochen Distelmeyer - Der Sog ist immer da

Seit der in Brake bei Bielefeld geborene und in Berlin lebende Distelmeyer mit seiner Band Blumfeld 1991 das Debütalbum „Ich-Maschine“ veröffentlichte, zählt er zu den bedeutendsten Indierockern des Landes. Blumfeld sind nun Geschichte, der 42-Jährige, der inzwischen Familienvater ist, macht alleine weiter.







Jochen DistelmeyerJochen, fühlt sich die Solokarriere eigentlich als Zäsur an?

Jochen Distelmeyer: Auf eine Art ja, auf die andere Art eher nicht. Ich mache das ja weiter, was ich schon mache. Aber durch die Umstände, dass mein eigener Name auf der CD und den Plakaten steht, und aufgrund der anderen Musikerkonstellation, ist das auch was Neues

Inwiefern genau?

Distelmeyer: Vorher sah ich mich als Teil einer Band, auch wenn ich immer schon im Zentrum der Wahrnehmung stand. Und jetzt bin ich automaitsch das Zentrum, da stellt sich diese Frage nicht mehr.

Du bläst auf dem Albumcover ein Kaugummi auf? Was willst du uns damit sagen?

Distelmeyer: Dieses Bild zum Titel “Heavy”, der ja “schwer” bedeutet, aber doch leicht und himmlisch klingt. Ich sah eben in dieser Idee einer platzenden Kaugummiblase eine schöne Entsprechung

Aber “Heavy” ist ein ungewöhnlicher Titel. Schließlich singst du nicht auf Englisch.

Distelmeyer: Ja, aber wir leben schon seit Jahrzehnten mit Anglizismen, die zum normalen Sprachgebrauch gehören. Beim Schreiben der Songs dachte ich immer, der Titel passe zu vielen dieser Stücke. Entweder, weil sie tatsächlich rockend daherkommen, oder aber von der Thematik her heftig sind. Der Titel ist auch eine Klammer für die Vielseitigkeit der Songs.

Mit “Regen” fängt es sehr akustisch an, danach variieren Tempo und Stil im Laufe der Platte sehr.

Distelmeyer: Ja, wobei das nicht das Ziel war, sondern sich beim Schreiben ergeben hat. Ich habe über die Jahre Songs komponiert, die zu mir kamen oder auf die ich Bock hatte. Da spürte ich irgendwann “Das ist ja ein Album”.

Wie lange hast du denn an “Heavy” gearbeitet?

Distelmeyer: Zwei, drei Jahre. “Jenfeld Mädchen” ist noch zu Blumfeld-Zeiten entstanden, die anderen Stücke habe ich alle nach der Trennung der Band geschrieben.

Was war genau der Grund für das Ende von Blumfeld?

Distelmeyer: Nach unserer letzten Platte “Verbotene Früchte” und der dazugehörigen Tour haben wir die ersten drei Blumfeld-Platten noch mal als Box wiederveröffentlicht. Im Zuge dieser Arbeit bekam ich das starke Gefühl, dass die Entwicklung dieser Band zum Abschluss gekommen ist. Dass das Bild fertiggemalt ist. Ich wollte daher sehen, welche Pfade ich danach alleine betreten könnte.

War denn klar, dass du weitermachst?


Distelmeyer: Ich habe ein paar Monate Pause gemacht, aber dass ich die Klampfe wieder hernehme und neue Lieder schreibe, das war ein Sog, dem ich nicht lange widerstehen konnte. Dieser Sog ist auf die eine oder andere Art immer da.

Wie groß ist der Druck auf dich als Solokünstler?


Distelmeyer: Ich finde das Album toll und fühle mich sehr wohl damit, ich genieße auch das Livespielen. Vielleicht bin ich naiv, aber ich empfinde keinen Druck.

War die Auflösung von Blumfeld für die Indieszene ein Schock?

Distelmeyer: Das habe ich nicht so mitgekriegt. Wir sind ja noch ausgiebig getourt und haben einee Live-DVD veröffentlicht. Da gab es zwar melancholische Momente, was ja nach 16 Jahren normal ist. Insgesamt war es aber ein schrittweises Loslassen.

In “Hiob” singst du “Ein Oldie feiert sein Comeback/die Leute finden es funky/dennn es macht ihnen Mut”. Geht es da um dich?

Distelmeyer: Eigentlich nicht. Aber wenn man das auf mich bezieht, ist es auch in Ordnung.

Die Liebeslieder wie “Nur mit dir” oder “Lass uns Liebe sein” sind ziemlich klar formuliert. In den Texten kann sich jeder wiederfinden.

Distelmeyer: Wenn das so ist, dann freut mich das. Ich habe die Lieder allerdings nicht geschrieben, um von allen verstanden zu werden. Sondern deshalb, weil sie Themen berühren, die mich beschäftigen, die mir wichtig sind.

Du bist inzwischen Familienvater, und es fällt auf, dass du die Liebe in deinen Texten sehr positiv behandelst. Hast du dich als Mensch über die Jahre stark verändert?

Distelmeyer: Hmm, das müssen andere beurteilen, ob ich anders drauf bin. Ich bin immer noch derselbe Mensch als bei „Ich-Maschine, bloß 20 Jahre älter, und ich hoffe mal, dass ich mich ein bisschen verändert habe (lacht).

Im Stück “Murmel” bilanzierst du das Leben und beobachtest die Kinder auf dem Spielplatz. Ist das der versöhnlichste Song, den du je geschrieben hast?

Distelmeyer: Das ist sicher ein versöhnlicher Song. Versöhnung finde ich gut. Ich wollte einen Song schreiben, in dem viele Menschen zusammenkommen, die versammelt sind und etwas miteinander teilen.

Bist Du im Reinen mit dir?


Distelmeyer: Ich bin gelassener geworden. Ich kann heute auch mit Sachen umgehen, mit denen ich nicht so zufrieden bin.

Kann man Gelassenheit lernen?

Distelmeyer: Kann man. Man lernt das durch das Leben.

Magst du über deine Familie sprechen?

Distemeyer: In Interviews rede ich da nicht drüber.

Aber kann man sagen, dass dir andere Werte wichtig geworden sind, seitdem du Vater bist?

Distelmeyer: Nein, meine Werte sind immer noch die gleichen wie zuvor.

Das Gegenteil von Gelassenheit verströmst du in “Wohin mit dem Hass?”

Distelmeyer: Ich bin vertraut mit dem Gefühl der Wut, der Empörung, des Grolls und des Zorns, und ich bin daran interessiert, möglichst gut mit diesem Gefühl umzugehen.

Du singst in dem Stück “Die Reichen und die Mächtigen/lasst ihre Wagen brennen”. Das ist als Statement, nun ja, heavy.


Distelmeyer: Aber mit dieser Aussage bleibe ich nicht stehen. Denn der nach Innen wuchernde Hass lässt sich auch durch solche Aktionen nicht abtöten.

Ist Autos abzufackeln eine Lösung oder nicht?

Distelmeyer: Es ist keine Lösung für den Hass. Aber es ist möglicherweise ein probates Mittel zur Durchsetzung von Interessen, wenn einem keine anderen Mittel mehr übriggelassen werden. Leute, die mit unserem System nicht einverstanden sind, haben meine Sympathie. Ich wundere mich, wie friedfertig es in unserer Gesellschaft noch zugeht. Manchmal finde ich das überraschend, denn ich denke, dass die Leute, die sich nicht gewalttätig äußern zivilisierter sind als diejenigen, die sie reagieren. Aber: “Wohin mit dem Hass?” ist kein Aufruf. Es ist ein Zurkenntnisnehmen.

Schlucken wir zuviel?

Distelmeyer: Manchmal denke ich das. Gewisse gesellschaftspolitische Entwicklungen böten wirklich genug Anlass zum Zorn.

Wie stolz bist du auf das bisher Erreichte?

Distelmeyer: Ich bin nicht stolz. Aber auf eine Art selbstbewusst.

Bist du gerne Vorbild sein für junge Musiker?

Distelmeyer: Klar finde ich toll, wenn die Leute das, was ich mache, schätzen. Sonst würde ich es ja nicht zur Disposition stellen.

Trittst du auch mit 80 noch auf oder reicht es irgendwann?


Distelmeyer: Ich hätte nichts dagegen, als Musiker alt zu werden. Aber das ist nichts, was ich mir vornehme.

Steffen Rüth


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